Sie können dieses Buch hier bestellen... Kein anderer deutscher Regisseur hat so zeilstrebig seinen künstlerischen Weg bestritten wie Wim Wenders. Mit jedem seiner Filme hat er neue Aspekte und Möglichkeiten dieser Kunst erforscht.
Im Mittelpunkt dieser Monographie über Wenders' Werk steht eine Analyse und Projektbeschreibung des Films "Falsche Bewegung" nach einem Drehbuch von Peter Handke.
"Um mit etwas zu beginnen, was in Ihren Filmen überhaupt nicht vorkommt. Sie haben Ende der 60er Jahre in Ihren Musikfilmen mit sehr langen Einstellungsdauern gearbeitet, die Schnittechnik nicht dem musikalischen Rythmus angeglichen. Heutige Musikfilme, Videoclips, werden völlig gegensätzlich inszeniert. Ist Ihrer Meinung nach an Videoclips noch etwas zu retten?"
Wim Wenders: Die Möglichkeit zu einer neuen ästhetik ist sicher drin. Und hin und wieder sieht man ja auch atemberaubend schöne Videoclips. Das kann man ja gar nicht verleugnen, daß da zum Teil wirklick große Talente arbeiten. Das ist auf eine Art auch das Experimentierfeld geworden, das das klassische Feld, den Kurzfilm, mehr oder minder abgelöst hat. Aber der Rahmen, in dem das gezeigt wird und in dem auch der schönste Clip vorkommt - vierundzwanzig Stunden lang im MTV oder wo auch immer - ist natürlich Werbung. Und deswegen tut der Rahmen, die Form, in der das dann gezeigt wird, auch das größte Talent mehr oder minder unterbuttern. Und man sieht es ja schon. In Amerika werden ja zum Teil die Clips schon nicht mehr ganz gezeight, sondern nur noch in Ausschnitten. Das führt zu so einer Art Eskalation. Jetzt ist es ja schon so weit, daß auch die Kids Clips nicht mehr sehen können, die drei oder vier Minuten dauern. Die Aufnahmeschwelle wird runtergesetzt. Dann können die Kids halt nur noch dreißig Sekunden sehen, dann muß schon der nächste kommen. Ich sehe das formimmanent vorher, daß das völlig inflationär ist, und daß das Inflationäre auch angesiedelt ist in der Form. Irgendwann wird das nur zum nackten überdruß führen.
Das Tolle am Rock'n Roll ist ja meines Erachtens gerade, daß wenn man mit einem Stück Musik lebt, eine Weile lang, einen Sommer lang oder einen Winter lang, daß man da auch anfängt zu dieser Musik die entsprechenden Bilder im Kopf zu haben und sozusagen im Kopf zu jedem Lied den Videoclip selbst macht. Das wird dann auch zu einer Art von kollektivem Traum. Wenn ich mich so an die Beatles-Lieder erinnere, "Nowhere Man" oder was auch immer, dann war das tatsächlich so eine Art weltumspannender Videoclip, den es nur in den Köpfen gab. Und das war wunderbar, das war auch kreativ. Heute wird jedes Lied schon geliefert mit dem Traum, so daß man keine Bilder mehr dazu sieht. Die kommen schon mit. Und meines Erachtens macht das den Rock n Roll und seine Suggestivkraft ärmer.
Wim Wenders: Ich glaube, daß für Fernsehen allgemein, also für das, was global als Möglichkeit angeboten wird, per Kabel und Satellit, daß da nichts mehr zu retten ist - daß da weder Moral noch ästhetik einzubringen sind. Das wird immer furchtbarer. Gleichzeitig, weil es immer furchtbarer werden wird, wird es auch immer Ausnahmen geben und durchaus auch respektable Produkte - aber eben als Ausnahme. In der Regel, denk ich, wird das Fernsehen unerträglich: der nackte Faschismus.
"Das hört sich nach Apokalypse an. Das hört sich nach >Ende der Welt< an."
Wim Wenders: Ist es ja auch. Ich glaube schon, daß man das Fernsehen, das wir in zehn Jahren haben, mit fünfzig oder sechzig Fernsehsendern, nicht anders als apokalyptisch bezeichnen kann.
Und wenn die amerikanischen Filme inzwischen alle aussehen wie Fernsehen, oder fast alle Filme, dann ist nicht verwunderlich, daß auf der anderen Seite unabhängige Filmemacher in Amerika ein Publikum gewinnen, indem sie ganz anders arbeiten. Also den Erfolg von der wirklich ungaublich reduzierten ästhetik vom Jim Jarmusch kann man auch dadurch erklären, daß rundrum Filme überhaupt keine ästhetik mehr haben, sondern eben nur noch Fernsehästhetik. Es ist ja wirklich so, daß alles, was mittlerweile in Amerika produziert wird, aussieht wie "Budweiser_-Reklame" über die Lichteffekte, über die Schnitte, über die Bewegung. Es ist ja alles wirklich abgeguckt vom Werbefilm und auch durchaus von der Clipästhetik. Es sind alles Achtzig- oder Neunzig-Minuten-Clips geworden. Das führt natürlich auch zu Trotzreaktionen, daß Leute sich dann freuen, daß es noch etwas anderes gibt. Und die einzige Garantie, daß es noch weiter Filme geben wird, ist meines Erachtens die, daß die Masse der visuellen Produktion katastrophal werden wird.
"Zu einer ganz anderen Frage. Im Moment schießen überall Drehbuchwerkstätten aus dem Boden. Schätzen Sie diesen Trend als vorübergehend ein oder wird jetzt etwas nachgeholt, was jahrelang unter den Tisch gekehrt wurde. Das trifft natürlich insbesondere für deutsche Verhältnisse zu."
Wim Wenders: Das stimmt natürlich schon. Es gibt hier ja auch keine Drehbuchautoren. Nur ganz wenige Leute machen das professionell. Es stimmt ja schon, daß in der spezifisch deutschen Version des Autorenfilms der Drehbuchautor ausgemerzt worden ist. Das hat ja auch zur Folge, daß es nur noch sehr wenige Filme gibt, wo man sagen kann, da ist eine schöne Geschichte, da ist nicht nur ein Regisseur, da ist auch ein richtger Dialog, eine aufregende Geschichte, Es ist schon ein spezifisch deutsches Problem. Gleichzeitig is das Problem in Frankreich nicht anders, und in Italien auch nicht und in ganz Europa nicht. In Amerika ist das natürlich anders. In Amerika ist ein gutes Drehbuch schon immer sehr geschätzt worden. Und in Hollywood, wenn man sich die Preise anguckt, die da für Drehbücher gezahlt werden oder für Stoffe, ist das natürlich, an der Hollywood-Börse sozusagen, überhaupt die wichtigste Aktie. Am Buch, am Drehbuch wird auch ungeheuer gefeilt. Es schreibt ja auch Hinz und Kunz Drehbücher. In Hollywood gibt es keinen Taxifahrer, der nicht am Abend Drehbücher schreibt, weil jeber hofft, irgendwann die Geschichte zu schreiben, die ihm dann für Millonen abgekauft wird. Sie haben in Hollywood auch tausende von Drehbüchern entwickelt und Geld reingesteckt. Und dann werden davon letztendlich ein Prozent umgesetzt oder noch weniger als ein Prozent. Da ist das schon immer als Grundwert eingeschätzt worden, Die Drehbuchwerkstätten, die es überall gibt, die kommen ja auch aus Hollywood, wo das seit eh gang und gäbe war. Da gibt es ja tausende von Drehbuchschulen und Rezepte und Bücher >Wie schreibt man ein Drehbuch?<
Ich glaube, das muß jeder, der etwas Kreatives tut, zugestehen oder sich eingestehen oder anerkennen. Da wo man, im Kopf oder im Herzen, eine Kraft findet, etwas zu erfinden, ob das nun eine Fotografie ist, eine Musik, ein Bild, eine Geschichte oder ein Film, daß das Zentrum, das man in sich findet und das dann so etwas zu leben bringt, daß das schon irgendwie auf die Kindheit zurückgeht.Bei dem Punkt habe ich gar keine Zweifel.